Ich bin schwul und lebe monogam – selbst meine Freunde können es nicht fassen

Alle Homosexuellen haben andauernd One-Night-Stands? Bullshit.

Original-Artikel veröffentlicht am 06.11.2018 bei vice
Link: https://www.vice.com/de/article/d3bgbm/ich-bin-schwul-und-lebe-monogam

Vor mehreren Jahren erzählte ich meiner guten Freundin Lisa von meinem bevorstehenden beruflichen Auslandsaufenthalt in Berlin und lamentierte darüber, dass mein langjähriger Freund Dominik mich nicht begleiten werde. “Na ja, das ist ja halb so wild!”, wollte mich Lisa beruhigen. “Immerhin führt ihr eine offene Beziehung, also kannst du in Berlin wenigstens mit anderen Männern Sex haben.”

Was? Wie bitte?

Unzählige Male hatte ich wahnsinnig spießige Scrabble-Abende mit meinem Freund und Lisa verbracht. Dass sie dachte, nach meinem dreifachen Buchstabenwert wäre ich noch zu einem Sex-Date gefahren und hätte mich nach allen Regeln der Kunst verwöhnen lassen, irritierte mich zutiefst.

Das Gegenteil ist der Fall. Wie in allen meinen bisherigen Beziehungen ist mir Monogamie auch mit Dominik sehr wichtig. Mittlerweile sind wir seit fünf Jahren zusammen und (Spoiler:) waren auch während meiner Berlin-Zeit treu. Ich vermute, dass hinter Lisas Annahme – wie so oft – Vorurteile gegenüber Homosexuellen steckten; ähnlich wie damals, als eine andere Freundin vermutete, ich sei aufgrund meiner Orientierung die “ideale Shopping-Begleitung”. Und dann herausfinden musste, dass ich das überhaupt nicht bin, da ich immer heimlich den Food Court ansteuerte, während sie in der Umkleidekabine war.

Ich kann über diese Klischees nicht schmunzeln, denn sie prägen das Bild, das selbst einige meiner engen Freundinnen von mir haben. Sie sehen wahrscheinlich ein paar Mal im Halbschlaf Wiederholungen alter Folgen von Sex and the City, bemerken, dass Carries schwuler Freund Stanford und Charlottes schwuler Freund Anthony umtriebige Homosexuelle sind und schließen dann darauf, dass alle Schwulen so leben. Auch ich. Dabei halte ich beide Charaktere für so unglaubwürdig wie die Tatsache, dass Carrie Bradshaw sich ihre Wohnung und Schuh-Sucht mit einer wöchentlichen 300-Wörter-Kolumne finanzieren kann.

Aber natürlich steckt in Klischees manchmal ein Fünkchen Wahrheit. In meiner pre-Dominik-Zeit verbrachte ich drei Abende die Woche auf unterschiedlichen Dates und redete mir ein, dass sie eigentlich alle ganz gut liefen, bis mein Gegenüber nonchalant erwähnte, dass sein Partner in zwei Stunden nach Hause kommen würde und wir “schnell zur Sache” kommen müssten; meistens auch mein Signal dafür, so hastig Leine zu ziehen, dass ich nur ein Michi-förmiges Loch in der Wand hinterließ.

Medien vermitteln ein falsches Bild von schwulen Paaren

Und genau dieses Stereotyp ist es, das in fast jedem Artikel, jeder Serie, jedem Film bedient wird, in dem schwule Männer auftauchen. Genau das hat mich aber noch nie interessiert. Ich persönlich finde es wahnsinnig schön, dass es einen Teil von mir gibt, den nur mein aktueller Partner kennt – und damit meine ich dieses Mal ausnahmsweise nicht meine 1A-Cher-Imitation. Es stand für mich bislang nie zur Debatte, eine offene Beziehung zu führen.

Wir haben auch beide vor unserer Beziehung zu lange gedatet, um den fliegenden Wechsel an Liebhabern zu vermissen. Jedes Mal, wenn ich im Bett nachts neben jemandem wach lag und mich fragte, ob mein Bettgefährte nun Fabian oder doch Felix hieß, sehnte ich mich danach, irgendwann eine Beziehung zu haben, wie meine älteren Nachbarn sie führten.

Edmund und Hannelore sind schon seit 50 Jahren verheiratet und erwecken nicht den Anschein, als wollen sie dem anderen fremdgehen oder ihn über die Jahre hinweg heimlich vergiften. Vielmehr wirken sie wie ein eingespieltes Team; ein Paar, das Höhen und Tiefen miteinander erlebt hat, aber den anderen nach all den Jahren noch immer für den besten Menschen der Welt hält. Mit so einem Partner an meiner Seite möchte ich auch gerne alt werden.

Auch die meisten meiner Freunde und ich passen gar nicht in das medial vermittelte Bild, das Lisa von schwulen Männern hat. Ein Blick in meinen Instagram-Feed zeigt nicht selten befreundete schwule Paare, die gerade ein Haus bauen oder sich einen Hund als “Vorbereitung für das Baby” anschaffen. Und als ein Kumpel nach Jahren des durchaus spaßig wirkenden Single-Daseins eine Beziehung einging, verkündete er nahezu triumphal: “Na endlich! Nie wieder One-Night-Stands!”

Natürlich fallen mir andere Männer auf, trotzdem möchte ich nur Sex mit meinem Partner

Nun gibt es aber sicher Leserinnen und Leser, die bereits jetzt in einem anderen Tab eine unbequeme Mail an mich verfassen, um mir mithilfe einer kleinen Sache namens “WISSENSCHAFT” nachzuweisen, dass meine Einstellung falsch ist, da es für menschliche Wesen zwangsläufig nötig ist, nicht nur mit einem einzigen Partner zu schlafen. Nach sechs Monaten bis einem Jahr, so heißt es in einer Studie des Leibniz-Instituts für Sozialwissenschaften in Mannheim und der Ludwig-Maximilians-Universität München, sei die Leidenschaft aus Beziehungen verflogen.

Man nennt es den Honeymoon-Effect: Zu Beginn einer Beziehung sei man so wild aufeinander, dass man kaum die Finger voneinander lassen könne; eine Begierde, die nach ungefähr einem Jahr ihren Höhepunkt erreicht. Dass es dann irgendwann bergab geht und man vielleicht einfach mal so tut, als würde man bereits schlafen, wenn der Partner Sex initiiert, klingt durchaus nachvollziehbar und dient vielen Menschen bestimmt als super Argument, um ihre Beziehung zu öffnen.

Mir aber nicht! Als ich Lisa erkläre, dass Dominik und ich, anders als von ihr vermutet, tatsächlich eine geschlossene Beziehung führen, weiten sich ihre Augen. “Was? Das wusste ich doch gar nicht!”, gestand sie schockiert. “Aber fallen dir andere Männer denn gar nicht auf?” Ach herrje! Wo schnappe ich bloß immer diese verständnislosen Freunde mit ihren bohrenden Fragen auf? Natürlich fallen mir andere Männer auf!

Jetzt, wo ich weiß, dass es vollkommen normal ist, nach über zwei Jahren Beziehung seinen Partner vielleicht nicht mehr so anziehend zu finden, dass man bei einem Solo-Umzug nach Berlin am liebsten ein überdimensionales Poster seines Antlitzes über dem Bett anbringen will, um jeden Abend mit religiöser Hingabe zu ihm zu masturbieren, kann ich es ja sagen. Monogam leben bedeutet nicht, dass ich durch andere Männer hindurchblicke, als wären sie Casper, der freundliche Geist. Es bedeutet, dass ich sie bemerke und dennoch nur mit meinem Freund Sex habe.

Ich kann nicht leugnen, dass männliche Geschöpfe auf diesem Planeten ihre Runde drehen, die so attraktiv sind, dass eine Single-Version meiner selbst ihnen unentwegt zuzwinkern würde, während sie lasziv mit der Zunge schnalzt (in meiner Welt ein klarer Code für “Ich will Sex mit dir!”).

Aber liebe Leserin, lieber Leser: Manchmal verspüre ich auch das Bedürfnis, eine Schokotorte in der Vitrine der Konditorei an mich zu reißen und mit bloßen Händen zu essen, oder in der U-Bahn laut “Total Eclipse of The Heart” zu singen. Aber wo wäre ich, wenn ich jedem meiner Triebe sofort nachgehen würde, ohne vorher kurz darüber nachzudenken?

Ich versuche in diesem Text wirklich nicht, Polygamie schlecht zu machen. Ich gebe es ja zu: Auch ich habe den Film Sex and the City 2 gesehen und seiner Message entnommen, dass wir in Beziehungen alle unsere eigenen Regeln machen können. Viel Spaß jedem, der sich da ausprobiert und Freude dran hat. Ich sage nur, dass eine offene Beziehung nichts für mich ist und kenne mich gut genug, um zu wissen, dass sie mich in den Wahnsinn treiben würde.

Offene Beziehungen sind mir zu stressig

Ich bin mit einem Hetero-Paar befreundet, das sich ein bisschen damit rühmt, eine gut funktionierende, offene Beziehung zu führen. Beide erwähnen meist ungefragt und auch, wenn es gerade um ein völlig anderes Thema geht, dass es sie ÜBERHAUPT nicht stört, wenn der andere Sex mit anderen Leuten hat, was für mich ein klares Indiz dafür ist, wie sehr es sie beide stört.

Unzählige Male habe ich der Frau aus dem Pärchen gelauscht, wie sie sich beklagte, dass ihr Freund heute wieder bei einer anderen sei, während sie es sich mit einer Packung Chips am Sofa bequem machen müsse. Sie habe das Gefühl, nun ebenfalls jemand treffen zu müssen, um Gleichstand zu halten. Wer schonmal eine Runde Scrabble mit mir gespielt hat, weiß, wie wetteifernd (und was für ein schlechter Verlierer) ich bin.

Auch weiß ich, dass ich einfach nie genug bekomme. Sagen wir mal, mein Partner gibt mir nur 80 Prozent von dem, was ich zu meinem absoluten Glück brauche und ich hole mir die restlichen 20 Prozent (wie etwa Sex, den man auf PornHub nur unter der Kategorie “Rough” findet) anderswo. Das klappt vielleicht die erste Zeit ganz gut und ich bin annähernd glücklich mit meiner Entscheidung.

Doch ich kenne mich selbst zu gut. Spätestens nach drei Monaten würde ich mir auch von meiner heißen Sex-Affäre denken: “Puh, er ist ja ganz cute, aber irgendwie erfüllt er mich nur zu 75 Prozent … gibt es da draußen vielleicht etwasnoch besseres?” Und wieder losziehen. Schon bald würde ich einen Namen in ganz Wien haben und er wird nicht “Der mit den gesunden und gut funktionierenden Beziehungen” lauten.

In anderen Worten: Offene Beziehungen mögen für manche Leute genau das sein, was sie zu ihrem absoluten Glück brauchen, wären aber mein persönlicher Untergang. Ich bin ein zu großer Kontrollfreak. Ja, es würde mich stören, wenn mein Freund mit anderen schläft. Und stellt euch mal den organisatorischen Aufwand vor, wenn ich es auch tun würde: Ich bekomme schon einen Stressausschlag beim Versuch, einen Termin für eine Date Night mit meinem Freund zu finden. Dann auch noch drei andere Männer unter einen Hut bringen? Undenkbar!

Stattdessen sehe ich den Honeymoon-Effect als Challenge an. Ich versuche, die Durststrecken in unserer Beziehung zu erkennen und sie rechtzeitig in Angriff zu nehmen. Wusstet ihr, dass es Sex-Shops gibt, in denen man sich für Anlässe wie diese etwa die Sexschaukel “Adalbert” kaufen kann? Man lernt nie aus!

Mittlerweile bin ich wie gesagt seit fünf Jahren mit meinem Partner zusammen. So wie ich es sehe, ist unsere Monogamie ein Versprechen, einander auch in schwierigen Zeiten treu zu bleiben, selbst, wenn einer von uns für ein halbes Jahr alleine nach Berlin zieht: Trotz der Distanz zwischen uns und unzähliger Versuchungen gibt es für mich nur dich und ich werde nicht zu einem anderen gehen.

Nennt mich kitschig, aber ich finde das unfassbar romantisch. Und auch beruhigend. Es gibt mir Sicherheit: Einerseits die Sicherheit, geliebt zu werden, aber auch die Sicherheit, für einen besonderen Menschen ebenfalls etwas besonderes zu sein.

Ach ja: Als ich damals schließlich nach Berlin zog und dort meinen Mitbewohner kennenlernte, erzählte ich ihm unter anderem, dass ich schwul bin und in einer Beziehung lebe. “Puh”, meinte er, “dann sag aber wenn möglich immer Bescheid, bevor du deine One-Night-Stands mit nach Hause bringst!”

Artikel veröffentlicht am 06.11.2018 bei vice

Link: https://www.vice.com/de/article/d3bgbm/ich-bin-schwul-und-lebe-monogam

 

 

 

 

 

 

 

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