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Es gibt ein Zeichen für Burnout, das nichts mit Erschöpfung und Krankheit zu tun hat

12-Stunden-Schichten, wenig Gehalt, Essen am Schreibtisch: In vielen Startups sind solche Arbeitstage die Regel statt Ausnahme. Und noch nicht mal am Wochenende schalten einige Gründer ab.
Zu wichtig sind die Emails, die beantwortet werden wollen oder der Relaunch der Webseite. Aber hey, wenigstens gibt es einen Kicker, Energy Drinks und eine schicke Kaffeemaschine im Büro! Vor einem Burnout bewahren können sie die Mitarbeiter aber nicht.
Laut einer Studie der Baumann Unternehmensberatung sorgt sich mehr als jeder zweite Manager in Deutschland, im Laufe seiner Karriere einen Burnout zu erleiden.
Bei manchen zeigt er sich durch Kopfschmerzen. Anderen tut der Rücken oder Magen weh. Einige bekommen einen Tinitus. Und viele können nachts nicht mehr schlafen.
Aber auch ein bestimmtes Verhalten im Umgang mit Freunden und Mitarbeitern deutet auf einen Burnout hin: „Zynismus ist ein deutliches Warnzeichen“, sagt die HR-Expertin und Coach Esther Kimmel. Wenn ihr ein Gründer voller Hohn und Spott von seinem Arbeitsalltag erzählt, ahnt sie, dass er dringend Hilfe braucht.
Kimmel berät seit über zehn Jahren Unternehmer in Berlin. Uns hat sie erzählt, warum Gründer beim Burnout gefährdet sind und was sie tun können, um die Krise zu überwinden.
Frau Kimmel, welcher Typ Mensch bekommt besonders schnell einen Burnout?
Es trifft häufig diejenigen, die über die Maßen engagiert sind. Meistens sind es sehr perfektionistische Menschen, die ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht werden. Sie geben immer 130 Prozent und merken viel zu spät, dass sie das krank macht. Viele haben auch ein angeschlagenes Selbstwertgefühl. Sie hadern mit sich, wenn sie etwas in ihren Augen nicht perfekt gemacht haben. Sie sind extrem kritisch mit sich und anderen. Das macht sie unzufrieden.
Wer ist mehr von Burnout betroffen: Männer, Frauen, Alte, Junge?

Da gibt es kein Muster. Früher kamen vor allem Männer in der Midlifecrisis zu mir. Heute sind es auch viele junge Menschen zwischen 20 und 30. Manche von ihnen planen, eine Auszeit zu nehmen. Aber nicht etwa, weil sie etwas Schönes unternehmen wollen, sondern weil sie das Gefühl haben, es anders nicht zu schaffen. Und klar: Gründer sind besonders gefährdet.

Warum?

Viele von ihnen haben eine gute Geschäftsidee. Aber das alleine reicht nicht, um erfolgreich zu sein. Sie müssen sich und das Produkt sichtbar machen. Das liegt nicht jedem. Außerdem denken viele Gründer, dass sie alles selbst regeln müssten: von den Finanzen, über den Webauftritt bis zur Steuererklärung. Sie verpassen den richtigen Zeitpunkt, Dinge zu delegieren, und sind überfordert.

Oftmals können sich die Gründer aber nicht viele Mitarbeiter leisten.

Sicher, gerade in der Seed-Phase ist das Geld knapp. Viele Gründer haben große finanzielle Sorgen. Sie nehmen hohe Kredite auf oder erhalten Finanzierungen. Beides erzeugt Druck, schnell Erlöse zu generieren.

Wie merkt man, ob der Stress gut ist und einen weiterbringt – oder ob krank macht?

An seinen Gefühlen. Manchmal macht Stress neugierig, wach und fröhlich. Dagegen ist nichts einzuwenden. Anderer Stress erzeugt Angst, Traurigkeit, Hilflosigkeit und auch körperliche Auswirkungen wie Bauchschmerzen. Wichtig ist, dass man solche Anzeichen ernst nimmt, denn sie können in einen Burnout münden.

Wie coachen Sie so jemanden?

Zuerst fragen wir uns, was Stressauslöser und was stressverstärkende Gedanken sind, also so etwas wie: Sei perfekt! Sei beliebt! Sei unabhängig! Halte durch! Behalte die Kontrolle! Dann überlegen wir uns, woran der Unternehmer merken kann, dass sein Leben nicht mehr in Balance ist. Hat er Freunde vernachlässigt? Die Familie? Nimmt er sich noch Zeit fürs Essen? Oder steht der Kunde über allem?

Anzuerkennen, was ist, ist der erste wichtige Schritt. Manchmal gelingt dieser nur über ein direktes Feedback, weil sich Burnout-Gefährdete häufig noch vieles schönreden. Danach geht es daran, Dinge zu ändern: ein unbequemer, aber notwendiger nächster Schritt.
Was kann man anders machen?

Das ist sehr individuell. Auf jeden Fall regelmäßig Sport treiben – das hilft fast immer, wenn es nicht übertrieben wird. Und genussfähig bleiben, zum Beispiel sollte man beim Essen nicht noch andere Sachen nebenbei tun. Man kann sich auch vornehmen, zwei Mal in der Woche seine Freunde zu sehen. Und klar: Man sollte zu einer bestimmten Zeit nach Hause gehen.

Und wenn dann noch Arbeit offen ist?

Viele Gründer müssen erst lernen, dass es meistens reicht, wenn sie nur 80 Prozent geben. Anderen fällt das oft noch nicht mal auf. Beispielsweise kann man sich vornehmen, eine Aufgabe in einer gewissen Zeit zu erledigen. Vor allem für Perfektionisten ist es wichtig, einen klaren Zeitrahmen zu haben. Sie arbeiten dann effektiver.

Was können Gründer tun, wenn einer ihrer Mitarbeiter erschöpft wirkt?
Wichtig ist, dass vor allem Führungskräfte Anzeichen eines Burnouts kennen. Erst vor Kurzem rief mich eine Führungskraft an, deren Mitarbeiterin möglicherweise einen Burnout hat. Die Frau fühlt sich für alles schuldig. Sie ist zwar schon krankgeschrieben, aber sie glaubt dennoch, dass sie eigentlich zur Arbeit kommen müsste. Sie will die anderen nicht hängen lassen und macht sich Vorwürfe.
Was raten Sie in so einem Fall?

Vorgesetzte sollten mit den Mitarbeitern sprechen. Sie sollten ihnen das Gefühl geben, dass es okay ist, auch mal weniger zu arbeiten. Außerdem sollten sie ihre eigenen Zielvorgaben überprüfen. Ist es überhaupt in der regulären Arbeitszeit machbar, was sie fordern? Falls nicht, sollten sie das ändern. Viele Chefs wollen gar nicht, dass sich die Mitarbeiter so auspowern. Sie wissen, dass sich das langfristig nicht rechnet und diese Mitarbeiter ganz besonders Gefahr laufen, perspektivisch länger auszufallen.

Danke für das Interview, Frau Kimmel!
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